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Die neue Tram: Nancy bereitet sich vor

TVR Nancy nahe der Station Division de Fer | Foto: Dirk Budach

Seit heute dürfen die Bürger der Stadt Nancy sich informieren, ihre Meinung äußern und auch Eingaben und Veränderungsvorschläge machen zu einem Projekt, das die Stadt schon Längere Zeit beschäftigt und sicher auch noch lange beschäftigen wird: Die neue Straßenbahn. Enquête publique heißt dieses Verfahren in Frankreich – das hier am 27.8. bis zum 30.9. abgehalten wird.

Sie soll in den kommenden Jahren das glücklose Spurbus-/Trolleybussystem TVR (Transport sur Voie Réservée) ersetzen, das hier den 1983-1999 aus drei Linien bestehenden Obus (DUO-Bus) nach Abschreibung der ersten Fahrzeuggeneration ablösen sollte. Es kam jedoch lediglich zur Inbetriebnahme der 11,1 km langen Durchmesserlinie, aktuell als Tram Linie 1 bezeichnet. Auf weiteren geplanten Linien fahren heute Gasbusse. Auf der Tramlinie 1 werden heute täglich 45.000 Fahrgäste befördert.

Endstelle Vandœuvre – CHU Brabois – die TVR fahren teils elektrisch mit Stromstangen wie ein O-Bus, teils im Dieselbetrieb | Foto: Dirk Budach

Das Modell TVR

Bombardier und seine Vorgängerunternehmen BN (La Brugeoise et Nivelles) hatte das TVR in den 1980er Jahren entwickelt und vermarktet, doch tatsächliche Anwendung im Stadtverkehr fand es nur in den beiden französischen Städten Nancy und Caen. Die dreiteiligen Fahrzeuge laufen dabei auf Gummireifen und werden auf den dafür vorgesehenen Abschnitten durch eine Mittelschiene spurgeführt. In beiden Fällen können die Fahrzeuge auch abseits der Einschienentrasse im normalen Straßenverkehr fahren, allerdings in Caen nur im Dieselhilfsantrieb. Bei elektrischem Betrieb erforderte hier die Art der Stromaufnahme über Pantographen ein spurgenaues Fahren, während in Nancy die Stangenstromabnehmer für zweipolige Obusfahrleitung auch den Linienverkehr ohne Spurführung erlauben – er wird auf längeren Abschnitten auch ganz planmäßig praktiziert. Der TVR fährt hier als klassischer Doppelgelenkobus.

In Nancy ist der TVR abschnittsweise auch als konventioneller Trolleybus unterwegs | Foto: Dirk Budach

Systembedingte Nachteile stelllten sich sehr rasch im Alltagsbetrieb heraus und konnten bis heute nicht vollständig behoben werden. Dazu gehört die Entgleisungsfreudigkeit insbesondere auf Weichen, Kreuzungen und in engen Kurven, was in Nancy dazu geführt hat, dass nahezu alle Weichen planmäßig nicht mehr benutzt werden (können) und in bestimmten Kurven eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 5 km/h eingeführt werden musste. Ein weiterer gravierender Nachteil ist die starke Abnutzung der Fahrbahn durch die Beanspruchung an den immer genau gleichen Stellen, hervorgerufen durch die Spurführung, die zu Riffelbildung, Absenkungen und dadurch wesentlich ausgelöst ein sehr unruhiges und unkomfortables Fahrverhalten. Klappern, Rappeln und Rütteln bestimmen den Ablauf beim Fahren.

Ablösung in Caen

Nachdem alle Nachbesserungsversuche nur wenig langfristige Erfolge brachten und auch der Hersteller Bombardier sich schon vor Jahren aus dem Produktbereich zurückgezogen hatte, beschloss Caen die Ablösung der TVR durch eine konventionelle Straßenbahn. Deren Eröffnung am 29.7.2019 war an dieser Stelle schon Thema (https://hosting129892.a2e10.netcup.net/t-wie-tramway-der-t-day-in-caen-neue-strassenbahn-eroeffnet/), der TVR hatte nach nur rund 15 Jahren seinen Verkehr zum Jahresende 2017 eingestellt.

12 ausgemusterte TVR kamen von Caen nach Nancy, hier abgestellt als Ersatzteilspender im Depot | Foto: Dirk Budach

Einige seiner Wagen kamen nach Nancy, denn hier setzte der Verkehrsbetrieb STAN zunächst auf eine Modernisierung der Fahrzeuge und Erneuerung des Fahrwegs, nachdem die Spurführung schon Jahre zuvor deutlich vereinfacht und auf einzelnen Abschnitten sogar zurückgebaute worden war. Optisch präsentieren sich die Fahrzeuge nun gut, doch das Fahrverhalten bleibt noch immer wenig akzeptabel. Aus den oben genannten Gründen hat sich inzwischen auch Nancy zur Umstellung der Linie auf konventionelle Rad-Schiene-Technik einer Niederflurstraßenbahn entschlossen. Vorgeschlagen wird aktuell neben dem Umbau der bestehenden Linie auf zu größeren Teilen gleicher Trasse der Bau einer Zweigstrecke nach Roberval im Südosten der Stadt und eines Abweigs im Stadtzentrum zum Canal Meurthe, mit einer Gesamtstreckenlänge von 15 km. Diskutiert wird die Streckenführung in Richtung Vandœuvre – CHU Brabois, sie kann die aktuelle Steilstrecke nicht befahren, verschiedene Varianten waren im Gespräch, darunter auch eine Führung über einen neu zu bauenden Viadukt.

Die aktuelle Steilstrecke hinauf zum Hospitalkomplex Vandœuvre – CHU Brabois | Foto: Dirk Budach

Die Umstellung

Der Zeitplan der Umstellung sieht zunächst die Aufgabe des derzeitigen TVR Betriebs gegen Ende 2021 vor, sofern bis dahin keine unerwarteten Schwierigkeiten im Betriebsablauf auftreten. Mit der Aufnahme des Straßenbahnbetriebs ist allerdings aktuell nicht vor 2023 zu rechnen. Das geplante Projektbudget für die neue Stahlradstraßenbahn beträgt 412 Mio. EUR.

Die bestehenden Fahrleitungsanlagen, zu denen auch ein Teil der schon vor 20 (!) Jahren stillgelegten, aber immer noch als Fahrdrähte vorhandenen, früheren Obuslinien gehören, werden übrigens für einen künftigen elektrischen Busverkehr nicht weitergenutzt. Obwohl IVECO erst kürzlich einen modernen Gelenktrolleybus mit Traktionsbatterie hier vorgestellt und getestet hat, lehnt die Stadtverwaltung ein solches System ab.

Karte der geplanten neuen Stahlradstraßenbahn, die im Wesentlichen der aktuellen Streckenführung des TVR Systems folgen wird – es sind weiterhin zwei neue Abzweige nach Roberval im Südosten und Meurthe canal nördlich des Stadtzentrums geplant | Quelle: Grand Nancy
27.08.2019
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