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Deutsche Regionalbahnen: Neues Leben auf alten Gleisen

Die neue Bentheimer Eisenbahn | © UTM

Das gerade noch einmal bekräftigte Ziel der Bundesregierung, die Fahrgastzahlen im ÖPNV landesweit bis 2030 zu verdoppeln, erfordert außerordentliche Investitionen gerade auch in den Schienenverkehr. Da passt es gut ins Bild, dass Deutschlands Regionalbahnen sich wieder neuer Beliebtheit erfreuen: Nach drastischen Reduzierungen des Streckennetzes in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg fand in den vergangenen 25 Jahren nicht nur an vielen Orten spürbare Modernisierung von Fahrzeugen und Infrastruktur und gleichzeitig die Verbesserung des Angebots auf den verbliebenen Verbindungen statt, sondern es gab auch eine Reihe von Wiedereröffnungen Jahre zuvor stillgelegter Bahnstrecken.

Allerdings ist der Umfang dieser Reaktivierungen insgesamt recht überschaubar: 827 km im Personenverkehr und 360 km im Güterverkehr sind seit 1994 wieder in Betrieb. Deutlich größer ist der Anteil der im gleichen Zeitraum abbestellten Verkehrsleistungen, nämlich auf mehr als 3.600 km Gleisen.

Eine genaue Übersicht bietet:
https://www.allianz-pro-schiene.de/wp-content/uploads/2019/05/190520-allianz-pro-schiene-reaktivierte-eisenbahnstrecken_plusfa.pdf

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Mehr Potential

Bund und Länder sehen deutlich größeres Potential und bieten, wenngleich in regional unterschiedlichem Umfang, ihre Unterstützung bei weiteren Projekten an. Im Mai erhielt das Thema weiteren Auftrieb, als der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und die Interessengemeinschaft Allianz pro Schiene ein gemeinsame Pressekonferenz abhielten und mit Nachdruck auf die Chancen hinwiesen, die sich aus ihrer Analyse zahlreicher derzeit ungenutzter und oder nicht mehr vorhandener Verbindungen ergeben können. Rund 3.000 km Strecken, für die eine Reaktivierung als grundsätzlich sinnvoll eingestuft werden, stellt die Untersuchung vor. Daraus hat sich eine lebhafte öffentliche Diskussion entwickelt, überregional und oft auch auf lokaler Ebene, die Publikation hat also durchaus „ins Schwarze getroffen“.

Die Küstenbahn von Sande nach Esens könnte künftig wieder weiter nach Norden fahren | © D. Budach

Nicht anders als zu erwarten hängt die Wiederaufnahme des Bahnbetriebs von einer Reihe von Kriterien ab, die in jedem einzelnen Fall geprüft werden müssen. Dazu gehört naturgemäß in erster Linie das zu erwartende Fahrgastpotential, das eine Wirtschaftlichkeitsrechnung für den künftigen Betrieb entscheidend beeinflusst. Aber auch andere Gesichtspunkte wie eine Zubringerfunktion zu anderen Strecken, denen dadurch mehr Fahrgäste zugeführt werden, raumpolitische Motive sowie solche der Verbesserung der Netzstruktur durch Schließung von Lücken im Netz, die die Ablaufstabilität verbessern, können dazu gehören.

Der VDV hat schon in 2017 einen umfangreichen Leitfaden zur Streckenreaktivierung veröffentlicht, der zum Download zur Verfügung steht:
https://www.vdv.de/vdv-reaktivierung-von-eisenbahnstrecken.pdfx

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Wir wollen hier nur einige wenige Beispiele aus der jüngeren Zeit herausgreifen:


Beispiel 1: Regentalbahn

Im Bayerischen Wald hat sich über einen längeren Zeitraum Regionalbahnnetzt entwickelt, das heute unter dem Markennamen „Waldbahn“ einheitlich nach außen auftritt und nach ähnlichem Standard betrieben wird. Jahrelang schon gab es Planungen, das Netz um die noch erhaltene, aber kaum genutzte Zweigstrecke Gotteszell-Viechtach zu erweitern. Sie war die Keimzelle der heutigen Regentalbahn, und noch heute befindet sich in Viechtach die Werkstatt der Bahngesellschaft, die an diversen anderen Betrieben wie u.a. auch der Waldbahn beteiligt ist. Seit 1991 fuhren auf der Strecke nach Viechtach keine Personenzüge mehr, und die dünne Besiedlung ließ Zweifel an einer größeren Nachfrage aufkommen. Tatsächlich ging die Linie am 12. September 2016 wieder in Betrieb, und mit Stundentakt, Wochenendverkehr und modernen, spurtstarken Triebwagen mit Niederflureinstieg vom Typ RegioShuttle stellt sie sich heute völlig anders dar als vor 30 Jahren.

Obwohl die Fahrgastzahlen auch nach zwei Jahren vereinbartem Probebetrieb hinter den Erwartungen zurückblieben, verlängerte die bayerische Landesregierung die Testphase um weitere drei Jahre. Allerdings hält sich die Zahl der Einwohner im unmittelbaren Einflussbereich der Strecke mit insgesamt kaum 15.000 Menschen auch in sehr engen Grenzen. Zudem wurde das Modernisierungspotential sicherlich nicht vollständig ausgeschöpft, liegt die Streckenhöchstgeschwindigkeit doch immer noch bei recht bescheidenen 50 km/h.


Beispiel 2: Bentheimer Eisenbahn

Deutlich anders sieht die Situation dagegen bei der Strecke Bad Bentheim – Nordhorn – Neuenhaus aus, auf der die Bentheimer Eisenbahn nach 45 Jahren Abstinenz seit 7. Juli 2019 wieder Personenverkehr anbietet. Zeitgemäßer Stundentakt, 5 moderne Regionaltriebwagen vom Alstom-Typ LINT und verbesserte Umsteige- und Zugangsverhältnisse brachten hier schnell sehr positive Rückmeldungen von Betreiber und Fahrgästen, die sich in den Fahrgastzahlen widerspiegeln. Sie liegen schon jetzt über den Erwartungen – im Grunde kaum überraschend, hat doch die Kreisstadt Nordhorn mit etwa 55.000 Einwohnern nun wieder einen Bahnanschluss. Es wird sicher nicht lange dauern und man wird sich nur noch mit ungläubigem Erstaunen an die Zeit zurückerinnern, als ausschließlich Omnibusse die Verbindung zum europäischen Schienennetz herstellten. Die Ausdehnung des Personenverkehrs über Neuenhaus hinaus auf bestehender Strecke bis ins niederländische Coevorden ist in der Detailplanung, der niedersächsische Verkehrsminister Bernd Althusmann hat hierzu schon bei der Eröffnung der jetzigen Verbindung recht klare Ankündigungen gemacht.


Beispiel 3: Reaktivierungspläne in Ostwestfalen

Auf gleich zwei Privatbahnstrecken im östlichen Westfalen sind die Planungen zur Wiederaufnahme des Personenverkehrs in den letzten Monaten sehr konkret geworden. In Gütersloh hatte die Teutoburger Wald-Eisenbahn (TWE) lange Jahre einen Stützpunkt und betrieb bis 1977/78 Personenverkehr über Verl nach Hövelhof und über Harsewinkel nach Versmold, bis 1968 sogar darüber hinaus über Lengerich bis nach Ibbenbüren. Seit einigen Jahren ist Captrain der Betreiber des restlichen Güterverkehrs. Der Personenverkehr soll hier auf den zusammen 26 km langen Teilstrecken Gütersloh-Harsewinkel und Gütersloh-Verl wieder aufgenommen werden, mit modernen Dieseltriebwagen im Stundentakt, zur Hauptverkehrszeit sogar noch verdichtet. Auch die Einführung der Züge vom eigenen Endbahnhof Gütersloh Nord über eine neue Gleisverbindung in den Hauptbahnhof ist vorgesehen. Es sieht aktuell nach breiter Unterstützung des Projekts von politischer Seite sowohl auf Landes- als auch auf lokaler Ebene aus, die Detailplanungen sind angelaufen. Der Verkehrsausschuss der Landestages hat das Projekt Anfang Juli in den Bedarfsplan des Landes für den ÖPNV aufgenommen, damit steht einer Realisierung von politischer Seite nur noch wenig entgegen, auch die nötigen Fördermittel sind dadurch in greifbarer Nähe.


Gleiches gilt auch für die 21 km lange Verbindung Münster-Wolbeck-Sendenhorst als Teil der bis vor kurzem noch durchgehend im Güterverkehr befahrenen Strecke nach Neubeckum der Westfälischen Landes-Eisenbahn (WLE). Sie wurde in der selben Sitzung ebenfalls in den Bedarfsplan aufgenommen. Im dichtbesiedelten Umland der Großstadt Münster ist bis Wolbeck ein 20-Minuten-Takt und bis Sendenhorst ein 20/40-Minuten-Takt vorgesehen, hier kann man schon klar von einer urbanen, S-Bahn-gleichen Bedienungsfunktion sprechen. Letztmals waren auf der WLE-Strecke 1975 planmäßig Personenzüge im Einsatz.

Die Kosten für die Wiederinbetriebnahme der TWE-Strecke sind mit 34,5 Mio. EUR veranschlagt, für die WLE-Linie mit 40,4 Mio. EUR.

Positive Folgewirkungen

Jede erfolgreiche Wiederinbetriebnahme gibt zugleich neuen Antrieb, um weitere Projekte an anderen Stellen umzusetzen. Dazu kommen natürlich noch eine größere Zahl von weiteren Projekten, die eine Modernisierung, Beschleunigung und/oder Elektrifizierung von bestehende Regional- und Vorortstrecken zum Ziel haben.


Literaturhinweise:

Bentheimer Eisenbahn: Heft 5/2019 der Zeitschrift „Regionalverkehr“
https://www.regionalverkehr.de/

Reaktivierung der Regentalbahn: Heft 79 der Zeitschrift „Eisenbahn Geschichte“
https://dgeg.de/5-79-Heft-Nr-79


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19.09.2019
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